Gastvortrag von Dominik Finkelde SJ, "Anamorphose und Subjektivität im Raum der Gründe", 24. Oktober 2018

Am 24.10.18 hielt Dominik Finkelde SJ (Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der neuesten Zeit an der Hochschule für Philosophie München) auf Einladung des Fachbereiches Theologische Grundlagenforschung einen Vortrag mit dem Titel Anamorphose und Subjektivität im Raum der Gründe. Ausgangspunkt seines Vortrags bildeten zunächst erkenntnistheoretische Überlegungen zur menschlichen Wahrnehmung, die er in Bezug zu Jacques Lacans Subjekttheorie setzte. Anhand von Lacans Theorie von Auge und Blick sowie dessen Überlegungen zur Maltechnik der Anamorphose bei Holbein dem Jüngeren (am Beispiel des Gemäldes Die Gesandten), zeichnete Finkelde die prekäre Selbstverortung des Subjekts in der Welt nach.


Folgt man Lacans Gedankengängen, so Finkelde, zeigt sich die menschliche Wahrnehmung – wie auch das Subjekt – als immer schon gespalten und durch den Blick des Anderen gebrochen. Holbeins Gemälde veranschaulicht dies auf exemplarische Weise, denn es verweist nicht nur sinnbildlich auf die Grenzen menschlicher Erkenntnis (die Erfahrung des Erkennens taucht selbst nicht im Akt des Erkennens auf), sondern gibt dem Betrachter dadurch, dass das Gemälde aus zwei Perspektiven zu betrachten ist, welche aber die jeweils andere ausschließen, das Gefühl, dass das sein Sehen bereits von Anfang an von und durch einen anderen Blick unterwandert ist (im unteren Bereich des Gemäldes befindet sich das Vanitas-Motiv des Totenschädels, welcher allerdings nur erkennbar ist, wenn man den Blick von den zwei Gesandten abwendet). Die dehegemonialisierte Bildfläche des Gemäldes verweist damit sinnbildlich auf das Scheitern eines allmächtigen Blickes des Subjekts und führt sozusagen vor, wie es selbst bereits in ein Tableau (Lacan) eines anderen ihn unterminierenden Blickfeldes eingeschrieben ist. Mit anderen Worten ausgedrückt: Das Subjekt befindet sich in einem unendlichen Verweisungszusammenhang, dessen Begründer es nicht ist und welchen es niemals vollständig überblicken kann.


Aufbauend auf dieser parallaktischen Lücke (Žižek) entfaltete Finkelde unter Bezugnahme auf den deutschen Idealismus (Kant, Hegel) seine Gedankengänge weiter in Richtung einer Substanzkritik. Überträgt man nämlich das im Gemälde zum Ausdruck gebrachte Moment des Ein- und Ausschlusses eines anderen Blickes auf das Verhältnis des Subjekts zur Welt, zeigt sich, dass Welt niemals rein objektiv zu betrachten ist, sondern immer auch selbst als Ausdruck unserer  Wissensformen verstanden werden muss; d.h. nichts anderes, als dass der Verweisungszusammenhang, in dem wir leben, immer durch eine fehlende Perspektive begründet wird, wobei dieser blinde Fleck (Entzug und Überschuss in einem), uns von einem anderen Ort aus remarkiert. Hierbei ließe sich auch an Lacans Konzept des großen Anderen und des Herrensignifikanten denken, was Finkelde am Ende seines Vortrags mit Bezug auf die gegenwärtigen politischen Theorien versuchte, zu zeigen.

Martin Eleven