Maureen Junker-Kenny, „Selbst, Sozialität und Sinn: Welcher Ort für Religion in Entwürfen der philosophischen Ethik?“

7. Mai 2019

Am Dienstag, den 7. Mai 2019, hielt Maureen Junker-Kenny, die am Trinity College in Dublin eine Professur innehat und Fragen zu Religion und Öffentlichkeit zu einem Schwerpunkt ihres Arbeitens gemacht hat, einen Vortrag mit dem Titel „Selbst, Sozialität und Sinn: Welcher Ort für Religion in Entwürfen der philosophischen Ethik?“. Der Vortrag wurde vom Fachbereich Theologische Grundlagenforschung und RaT organisiert und fand im Rahmen des DiplomandInnen- und DissertandInnenseminars des Fachbereichs statt.


Die Ausgangsfrage des Vortrags war, wie der öffentliche Raum gestaltet werden kann, sodass ein von Respekt und Anerkennung geprägtes Zusammenleben zumindest nicht verhindert wird. Prof. Junker-Kenny stellte unterschiedliche Konzepte einer Gesellschaftsordnung vor und befragte sie auch in Bezug auf die Rolle, die der Religion darin zukommt. Der erste Ansatz, den sie besprach, war das Konzept des aristotelischen Gemeinschaftsbundes. Diese basiert auf naturrechtlichen und teleologischen Überlegungen – es liege in der Natur des Menschen als zoon politikon, sich eine Rechtsordnung zu geben. Dabei spielt auch die innere Dimension des Gewissens eine maßgebende Rolle. Hier kann auch ein religiöser Kontext einfließen, aber konstitutiv ist die Religion für dieses Gesellschaftsmodell nicht notwendigerweise.

Als zweiten Ansatz hat Prof. Junker-Kenny einen vertragstheoretischen Ansatz vorgestellt. Diesem Konzept zufolge fügen sich die Individuen aus rationalen Gründen in einen rechtlichen Rahmen, da er sie schützt und insofern auch einen Freiraum darstellt, als bloß äußerlich dem Recht gemäßes Verhalten erforderlich ist und dem Einzelnen keine Normen für die innere Haltung vorgeschrieben werden. In diesem, vor allem seit der Neuzeit verbreiteten, Konzept hat Religion dezidiert keine Bedeutsamkeit für das Politische.


Anschließend hat Prof. Junker-Kenny, auf Überlegungen von Herta Nagl-Docekal Bezug nehmend, diesen Ansatz problematisiert. Wo der inneren Haltung keine Bedeutung mehr zukommt, besteht die Gefahr einer Aushöhlung des Subjekts. Auch die Frage nach dem Einfluss der je eigenen Religiosität auf Moralität und Verhalten bleibt unterbelichtet, und es stellt sich die Frage, ob bloße Vertragslogik wirklich eine Gesellschaft zusammenzuhalten vermag.



Die Frage, die sich hier stellt, ist, inwiefern öffentliche Vernunft und Religion miteinander in ein Verhältnis zu bringen sind. Die vertragstheoretische Grundlegung einer Gesellschaft beruht, dem klassischen Ansatz, den etwa John Rawls in „Theory of Justice“ ausbuchstabiert, darauf, vom je eigenen kulturellen und religiösen Hintergrund abzusehen und somit unparteiliche und damit rationale und universalisierbare Entscheidungen zu treffen. Doch damit werden nicht nur die Egoismen, die mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen einhergehen können, sondern auch die Ressourcen, die die Einbettung in Kultur und Religion bergen, ausgeblendet.


Diese Ressourcen fruchtbar zu machen und damit öffentliche Vernunft nicht auf die Findung eines Minimalkonsenses unter Absehung von allen partikulären Einflüssen zu reduzieren, kann zu einem viel stärkeren Bekenntnis zu gemeinsamen Grundlagen und Zielen führen als die bloße Einsicht in deren Vernünftigkeit. So etwa muss die Begründung von Klimaschutzmaßnahmen nicht allein in der Zweckmäßigkeit für eine langfristig funktionierende Gesellschaft bestehen, sondern kann unterschiedlichste Beweggründe einfließen lassen – die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen ebenso wie den Erhalt der Schöpfung Gottes und den Respekt gegenüber der indianischen Gottheit Pachamama. Voraussetzungen einer solchen Einbeziehung partikulärer Gründe in allgemeingültige Gesetze sind, mit Christina Traina und Jürgen Habermas, die Freiheit der Interpretation zu wahren und die eigene Religion und Kultur nicht zu verabsolutieren. Prof. Junker-Kenny hat hier vor allem auch auf Paul Ricœur Bezug genommen, der Religionen als Mitbegründer des öffentlichen Raumes betrachtet. Das Ziel ist letztlich, die innere Freiheit und Subjektivität des Einzelnen zu wahren und zugleich in die Grundlegung einer universellen Gemeinschaft einzubeziehen.